Die gegenwärtigen Konflikte sind nicht allein mit ethnischen Argumenten zu erklären
Von Jan Bachmann
Die Bilder vom marodierenden, Machete schwingenden Mob und brennenden Dörfern in Afrika wirken allzu vertraut. Die westliche Öffentlichkeit hat ihre Reaktionsmuster parat: sie tut diesen Konflikt als eine weitere Eskalation ethnischer Gewalt mit den Worten „Ach, Afrika“ ab. Nur ist diesmal mit Kenia eines der liebsten Ferienparadiese der Deutschen betroffen. Und das zur Hochsaison. Denn trotz der lokalen Gewaltkonflikte und der angeheizten Stimmung in den letzten Wochen haben nicht einmal die internationalen Wahlbeobachter mit Unruhen solchen Ausmaßes gerechnet. Aber auch die Kenianer selbst sind schockiert über das Tun ihrer Landsleute. Viele Kenianer sehen sich eher in einer Reihe mit Regionalmächten wie Brasilien oder Südkorea, als dass sie sich mit ihren ostafrikanischen Nachbarn messen. Ethnische Gewalt mit mehreren Hundert Toten – das passiert an unzivilisierten Orten, aber nicht in Kenia – so die Überzeugung der städtischen Mittelschicht. Dabei hat in Kenia eine Politisierung von Ethnizität vor Wahlen regelmäßig in Gewalt gemündet. Die Schriftstellerin Wambui Mwangi rechnet mit diesem kollektiv gepflegten Zustand des Verleugnens ab: „Machen wir uns nicht länger etwas vor! Wir haben auf ganzer Linie versagt. Wir wussten es vorher, wir taten es wissentlich und jetzt müssen wir es schlucken und mit den Konsequenzen leben.... Blogger, Intellektuelle, Menschenrechtler, die kleine Tochter der Nachbarn meiner Nachbarn haben uns vor den Gefahren des ethnischen Fundamentalismus gewarnt... Es geschieht uns recht, nun von Ländern humanitäre Hilfe anzunehmen, auf die wir bis heute mit bedauernder Überlegenheit herabgesehen haben."(1)
Obwohl unbestritten ist, dass sich die Gewalt ethnisch ausgedrück hat – 30 Kikuyu-Flüchtlinge, die in einer Kirche in Eldoret einem Brandanschlag zum Opfer fielen, sind trauriges Manifest – erscheint diese Erklärungsweise zu eindimensional. Vor allem dann, wenn man die politischen Debatten, die die Regierungszeit Kibakis geprägt haben und die im Wahlkampf noch einmal radikalisiert aufgekocht wurden, verfolgt. Die ethnische Sichtweise allein, nach der dies ein Konflikt zwischen den Völkern der Kikuyu, denen Mwai Kibaki angehört und der Luo, der Gruppe Raila Odingas, ist, erklärt weder die landesweiten Gewaltausbrüche noch den Aufstand der arbeitslosen Jugendlichen in den Armenvierteln Nairobis hinreichend.
Umfassendere Erklärungsversuche müssten neben der Frage der Politisierung von Ethnizität auch die tiefen sozialen Gegensätze mit einbeziehen, die auch unter Kibaki kaum etwas von ihrer Dramatik verloren haben. So tragen Aspekte wie die Enttäuschung über die Bilanz der Regierung, die anhaltende ökonomische Exklusion einiger Regionen, aber auch der Umgang mit bestimmten Minderheiten, wie beispielsweise den Muslimen, wesentlich zum Verständnis der Krise bei. Der muslimischen Minderheit wird eine gerechte gesellschaftliche Partizipation verwehrt und ihr wird im Zuge des „Krieges gegen den Terrorismus“ unterstellt, ein Sicherheitsrisiko darzustellen. Letzteres ist in Ländern mit muslimischen Minderheiten zu einer im post-9/11-Kontext oft angewandten Strategie der Machtabsicherung geworden. Diese Stigmatisierung ist dem Muster ethnischer Stereotypisierungen nicht unähnlich. Am Fallbeispiel von Kibakis – von internationalen Gebern unterstützten – inneren Sicherheits- und Antiterrorpolitik gegenüber den Muslimen soll deren Entfremdung vom und Neupositionierung im politischen Prozess veranschaulicht werden. Damit wird einer ausschließlichen Fixierung auf ethnische Aspekte, eine breitere Perspektive des politischen „othering“ entgegengesetzt.
Keine Entspannung unterm Regenbogen
Die Regierungsbilanz Präsident Kibakis, der 2002 mit seiner regionenübergreifenden wie ethnienumspannenden „Regenbogenkoalition“ einen fulminanten Wahlsieg erzielte, ist von zahlreichen Gegensätzen geprägt.
Die Zahlen sprechen zunächst einmal für die Regierung. Das Land verzeichnete in den letzten Jahren ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum zwischen 5 und 7 %(2), die Wirtschaftsseiten der kenianischen Presse lesen sich, was die unmittelbare ökonomische Zukunft betrifft, nahezu euphorisch. Sichtbar ist der neue Reichtum vor allem in Nairobi mit seinen unzähligen Mega-Einkaufszentren. Auch in Sachen Infrastruktur hat Kenia einen großen Schritt nach vorn gemacht. Die Verwaltung arbeitet effektiver, viele staatliche Unternehmen wurden privatisiert, die Korruption scheint sich subtiler zu vollziehen. Das steigende Bruttoinlandsprodukt hat jedoch nicht ausgereicht, um den Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung maßgeblich zu senken. Rund 46 % der Kenianer müssen nach wie vor mit dem Äquivalent des magischen 1 US-Dollar pro Tag überleben.(3)
Die Halbwertszeit der Euphorie über den Wahlsieg Kibakis Ende 2002 war kurz. Die Harmonie zwischen Zivilgesellschaft und Regierung erhielt recht schnell mehrere Dämpfer:
- Nach einem halben Jahr im Amt präsentierte die Regierung dem Parlament den Entwurf eines drakonischen Antiterrorgesetzes, der vor allem unter den kenianischen Muslimen zu einem Aufschrei der Entrüstung führte und schließlich zurückgezogen werden musste.
- Auch die Amtszeit Kibakis war geprägt von mehreren Korruptionsfällen, aus denen der sogenannte Anglo-Leasing-Skandal heraussticht, da mehrere Minister, u.a. der Vizepräsident, darin verwickelt gewesen sein sollen. Ein Auftrag für die Anschaffung von Technologie zur Produktion fälschungssicherer Pässe sowie zur Errichtung eines forensischen Labors wurde der Scheinfirma Anglo-Leasing zugeschanzt. Rund 30 Mio Euro sollen dabei auf den Konten der verantwortlichen Beamten gelandet sein. Die von Kibaki angekündigte Härte gegen korrupte Beamte materialisierte sich hier wie folgt: zwei von drei beschuldigten Ministern, die zum Rücktritt gedrängt wurden, setzte Kibaki nach wenigen Monaten auf anderen Ministerposten wieder ein. Vizepräsident Awori blieb gänzlich unbehelligt.
- Ein Versprechen Kibakis war, binnen 100 Tagen eine für alle Kenianer verständliche und partizipatorische Verfassung zu entwerfen und vorzustellen. Diese sollte eigentlich die Macht des Präsidenten eindämmen. Dafür sollte das Amt des Premierministers geschaffen werden. Nach monatelangen politischen Querelen sah dann der Regierungsentwurf eine Ausweitung der präsidentiellen Kompetenzen vor und führte letztlich zur Niederlage Kibakis beim Referendum über den Verfassungsentwurf im November 2005.
- Man muss es der Regierung Kibaki anrechnen, dass Kenia derzeit über eine freie und lebendige Presse verfügt. Vielen ist der Verlautbarungsjournalismus staatsoffizieller Nachrichten unter arap Moi noch in bester Erinnerung. Daher wirkte die Durchsuchung der „Standard“-Mediengruppe im März 2006 wegen angeblicher Gefährdung der nationalen Sicherheit durch vermummte und bewaffnete Beamte auf viele Kenianer wie eine Reminiszenz an überwunden geglaubte Praktiken
- Letztlich nahm auch die Regentschaft Kibakis – schließlich seit den 60er Jahren eine zentrale politische Figur und unter Moi Viezepräsident – Züge eines Personenkultes an, der den Kenianern so vertraut wie verabscheungswürdig ist. Kibaki blieb der guten alten Sitte treu, sich auf der nationalen Währung zu verewigen: Zum 40. Jahrestag der Unabhängigkeit beschenkte er seine Nation mit einer 40-Shilling-Münze (ca. 40 Cent), die sein Konterfei trägt.
All diese Entwicklungen waren auch für die internationale Gemeinschaft sichtbar. Aber angesichts der Tatsache, dass man gegen Terroristen in Somalia, Rebellen in Uganda sowie Fundamentalisten im Sudan ein stabiles Kenia in der Region braucht, war die westliche Diplomatie gegenüber den Unzulänglichkeiten der Regierung Kibakis – trotz der Verhängung von Einreiseverboten durch Großbritannien gegen in Korruptionsfälle verwickelte Minister – eher stiller Art. Man zeigte sich angetan vom Wirtschaftswachstum und unberührt von der wachsenden sozialen Kluft etwa in der Hauptstadt Nairobi. Es wird geschätzt, dass jeder zweite Einwohner Nairobis in den sich ausbreitenden – euphemistisch ausgedrückt – informellen Siedlungen wohnt, die von krasser Armut, organisierter Gewalt und Krankheiten geprägt sind. Wenn dem Westen die Sicherheit und Stabilität so wichtig sei, so ein amerikanischer Diplomat hinter vorgehaltener Hand, sollte man alle Kraft aufwenden, um die soziale Situation in Nairobis Slums zu entschärfen. Denn diese stelle für das Land ein größeres Sicherheitsproblem dar als der internationale Terrorismus.
Antiterrorkampf im Ferienparadies
Kenia nimmt bei vielen Gebern in der Kooperation im Sicherheitsbereich und im sogenannten „Krieg gegen den Terrorismus“ eine Schlüsselstellung ein. Mit internationaler Unterstützung hat die Regierung ihre Infrastruktur zur Terrorbekämpfung hochgerüstet: die Gründung eines Antiterrorzentrums, verschiedene Trainingsprogramme im Sicherheitssektor sowie die Schaffung einer Sondereinheit sind nur einige Beispiele. Forderung zur Abschaffung letzter wurden laut, nachdem deren illegale und brutale Einsätze bekannt wurden.
Kenia ist nicht nur durch seine unmittelbare Nähe zum Horn von Afrika für westliche Sicherheitsexperten interessant, sondern gilt auch selbst als bedroht. Laut einem Papier der amerikanischen Militärakademie in West Point bietet die eher als Touristenidylle bekannte kenianische Küste „beste Möglichkeiten... für Al-Kaida-Operationen“, da sie sich im Gegensatz zum anarchischen Somalia zwar in einem schwachen, aber souveränen Staat befindet, in den es sich nicht ohne weiteres intervenieren lässt.(4) Des Weiteren sei das Gefühl der Marginalisierung der Muslime in der Küstenprovinz islamistischem Terrorismus zuträglich.
Das Land war in der letzten Dekade zweimal das Ziel schwerer terroristischer Aktionen. Bei einem Anschlag auf die US-Botschaft in Nairobi im August 1998 kamen mehr als 200 Menschen ums Leben. Im November 2002 wurde das „Paradise Hotel“ in Kikambala an der kenianischen Küste attackiert. Ziel waren israelische Touristen, die Mehrzahl der 13 Opfer waren jedoch Kenianer. Kurze Zeit später verfehlt eine Flugabwehrrakete nur knapp ein israelisches Charterflugzeug beim Start in Mombasa.
Seit dem letzten Anschlag in Mombasa sehen sich die Muslime in Kenia dem Generalverdacht ausgesetzt, als potenzielle Terroristen zu gelten. Die Menschenrechtsgruppe „Muslims for Human Rights“ hat rund 200 Fälle dokumentiert, in denen Leute angehalten, durchsucht, verhaftet, verschleppt oder gefoltert worden sind.(5) Die Mehrzahl der Fälle konzentriert sich auf Mombasa, weshalb vor allem dort Aktionen und Projekte, die Antiterrorismus im Namen tragen, mit äußerster Skepsis betrachtet werden. So waren es vor allem die kenianischen Muslime, die gemeinsam mit anderen Menschenrechtsgruppen gegen die Verabschiedung des Antiterrorgesetzes 2003 mobil machten. Der Konflikt schwelt jedoch weiter, da es vor allem von nördlicher Geberseite erheblichen Druck gibt, eine Antiterrorismusgesetzgebung zu verabschieden. Die dänische Regierung, das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP), der Commonwealth sowie die amerikanische Regierung beraten die kenianische Regierung mit der Absicht, solch ein Gesetz so bald wie möglich zu verabschieden. Der erste Entwurf wurde von Juristen als drakonisch und diskriminierend eingeschätzt, da er zum einen dem Minister für innere Sicherheit weitreichende Vollmachten einräumt, ohne demokratische Kontrollmechanismen zu definieren. Zum anderen konnte laut Entwurf schon das Tragen bestimmter Kleidungsstücke jemanden verdächtig machen.(6) Die Muslime fürchteten, dass dadurch die ohnehin herrschende Willkür noch juristisch sanktioniert würde. Öffentlicher Druck verhinderte bislang die Verabschiedung von zwei modifizierten Entwürfen. Die Stimmung zum Thema Antiterrorismusgesetz ist nach wie vor aufgeheizt und für die Muslime mittlerweile zu einem roten Tuch geworden. Mehrere Institutionen haben ihren Widerstand angekündigt, sollte erneut eine Vorlage ins Parlament eingebracht werden. Zudem sind weite Teile der politisch aktiven kenianischen Zivilgesellschaft davon überzeugt, dass eine spezielle Legislation zur Verhinderung von terroristischen Aktivitäten nicht notwendig sei, da die einzelnen Straftaten durch das Strafrecht abgedeckt seien.
Das Misstrauen unter den Muslimen der Küstenprovinz gegen ein von außen kommendes Gesetz und gegenüber der Regierung im Allgemeinen sitzt tief. Im kollektiven Gedächtnis der Muslime sind die politische Ausgrenzung, das Desinteresse der Regierung an ihren Beschwerden sowie die ökonomische Vernachlässigung fest verankert. Den muslimischen Verbänden gelang es allerdings, dies im Wahlkampf in politisches Kapital zu transformieren. Ihnen war bewusst, dass keine der beiden Seiten den Stimmenanteil der Muslime, der bei etwa 15-20% liegt, ignorieren kann. 2002 stand die überwältigende Zahl der Muslime hinter Kibakis Regenbogenkoalition. Doch die Fokussierung der Regierung auf den Antiterrorkampf und die bereits erwähnten Willkürmaßnahmen der Sicherheitskräfte gegen Muslime änderten die Stimmung. Der berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, war die Ausweisung von 150 „Terrorverdächtigen“ (darunter rund 20 kenianische StaatsbürgerInnen), die während der amerikanisch-äthiopischen Offensive gegen die Union islamischer Gerichte in Somalia um den Jahreswechsel 2006-07 nach Kenia geflohen waren. Sie wurden auf kenianischem Territorium verhaftet, nach Nairobi gebracht und von dort aus ohne juristisches Verfahren nach Somalia deportiert, von wo aus die meisten weiter nach Äthiopien verfrachtet worden sind.(7) Maßgeblich für eine politische Einigung der Muslime war jedoch die offizielle Reaktion der kenianischen Regierung. Mehrere Monate leugnete sie, dass sich unter den Deportierten überhaupt kenianische Staatsbürger befänden. Die Passivität der Regierung, die schiere Ignoranz gegenüber rechtstaatlicher Mechanismen und die Überstellung eigener Staatsbürger unter eine externe Jurisdiktion ohne Verfahren führte dazu, dass das Verhältnis zwischen Kibaki und der Mehrheit der Muslime nachhaltig beschädigt war. Da half auch sein Wahlgeschenk, ein zusätzlicher muslimischer Feiertag, nichts.
Ein Memorandum stößt auf Unverständnis
In einem weitgehend auf die beiden „big men“ Raila und Kibaki bezogenen und programmatisch weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf kam es nur zweimal zu thematischen Disputen: zum einen um die von der Opposition vorgeschlagene Einführung eines föderalen Systems und zum anderen um die gemeinsame Erklärung von Raila Odinga und der muslimischen Gemeinschaft. In einem von Raila Odinga und dem Vorsitzenden des 79 muslimische Organisationen vertretenden „National Muslim Leaders Forum“ (Namlef), Abdullahi Abdi, unterzeichneten „Memorandum of Understanding“ verpflichtet sich Namlef, die kenianischen Muslime im Wahlkampf ausschließlich für Railas Orange Democratic Movement (ODM) zu mobilisieren. Raila verpflichtet sich im Gegenzug, die strukturelle Marginalisierung der Muslime in Kenia zu beenden sowie eine Kommission zur Aufklärung der Deportationen einzusetzen. Außerdem verspricht er der Nordost- sowie der Küstenprovinz Priorität in der Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen.(8)
Das Memorandum erwies sich als cleverer Schachzug muslimischer Eliten auf dem „Weg zurück in den politischen Mainstream“(9) , wie es Abdullahi Abdi beschreibt: „Wir Muslime haben uns jahrzehntelang selbst marginalisiert, indem wir uns aus der nationalen Politik herausgehalten haben.“ Das berüchtigte Abkommen zwischen den Muslimen und der Opposition hat – nicht zuletzt weil der genaue Inhalt zirka zwei Monate zurückgehalten wurde – für ein Aufblühen verschiedenster Verschwörungstheorien gesorgt und wurde von der Regierung als Wahlkampfwaffe eingesetzt. Der Zweck und die Notwendigkeit eines speziellen Abkommens mit einer Konfession erschloss sich Teilen der nichtmuslimischen Mehrheit nicht. Einige Zeit sah es sogar danach aus, dass es der Opposition die Stimmen vieler Christen kosten könnte. Es kursierte ein gefälschtes Memorandum, in dem von einer geplanten Einführung der Sharia die Rede war. „Wir waren gegen die sofortige Veröffentlichung des Memorandums“, sagt Abdi. „Wir wollten, dass über uns gesprochen wird, wir wollten die Debatte, weil jene Diskussion uns als Muslime auf die ersten Seiten der nationalen Presse gebracht hat.“
Auch in Mombasa kam es nach den Wahlen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei ethnische Gründe wohl nicht ausschlaggebend waren. Es ist vor allem das Verwehren ökonomischer und politischer Partizipation, das das Frustrationspotenzial nährt und zu erhöhter Unsicherheit führt. Die Klassifizierung der Muslime zum kollektiven Sicherheitsrisiko trägt dabei nicht zur Entspannung bei. Dennoch gibt es positive Entwicklungen: Die politische Offensive muslimischer Repräsentanten im Wahlkampf könnte mittelfristig Wirkung zeigen. Des Weiteren scheint sich auch bei einigen Gebern ein Umdenken einzustellen. So wird in Projekten, die aus Töpfen der Terrorbekämpfung finanziert werden, nicht länger nur mit staatlichen Institutionen zusammengearbeitet, sondern vor allem an der Küste sind die Partner öfter zivilgesellschaftliche Gruppen, die im lokalen Umfeld versuchen, alltägliche Unsicherheiten zu bekämpfen. Die Wahlen haben die Risse, die durch die kenianische Gesellschaft gehen, sichtbar werden lassen. So offenbaren sich in der Politisierung der Religion eben auch Parallelen zum verhängnisvollen Spiel mit ethnischen Stereotypen, wie sie in der politischen Geschichte Kenias regelmäßig eingesetzt wurden. Zu einer nachhaltigen Lösung der Krise bedarf es, mit den Worten Wambui Mwangis, zuerst wohl eines kollektiven Eingeständnisses: “Wir können uns der Verantwortung für unsere sorglose Rhetorik und für unseren Hang, die tiefen Ängsten anderer auszunutzen, nicht entledigen... Wir haben es getan. Wir müssen es wieder in Ordnung bringen. Jeder einzelne von uns.“(10)
Jan Bachmann promoviert an der Universität Bristol zur Vermischung westlicher Sicherheits- und Entwicklungspolitik und ihrer Konsequenzen am Beispiel Kenias und war zwischen Oktober und Dezember 2007 research affiliate im Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Nairobi.
(1) Eintrag vom 2. Januar 2008 auf Wambui Mwangis Blog unter: http://madkenyanwoman.blogspot.com/
(2) Politischer Jahresbericht Büro Ostafrika und Horn von Afrika 2006/2007auf https://www.boell.de/
(3) Es muss jedoch angemerkt werden, dass der Anteil der unter der Armutsgrenze Lebenden in städtischen Gebieten drastischer auf rund 34 % fiel. Gleichzeitig ist hier die soziale Ungleichheit höher als in ländlichen Regionen. Vgl. Politischer Jahresbericht der Heinrich-Böll-Stiftung. Büro Ostafrika und Horn von Afrika 2006/2007.
(4) Combating Terrorism Centre at the U.S. Military Academy 2006. Al-Qaida’s (Mis)Adventures in the Horn of Africa. West Point/NY. S. 70. Abrufbar unter http://ctc.usma.edu/aq/aqII.asp.
(5) Interviews mit Mitarbeitern von „Muslims for Human Rights“, Mombasa, 26. und 27. November 2007
(6) Kenya Gazette Supplement No. 38 Special Issue 2003. Bill for Introduction into the National Assembly – The Suppression of Terrorism Bill, 2003. 30. April 2003.
(7) Interviews mit Al-Amin Kimathi, Vorsitzender des Muslim Human Rights Forum, Nairobi, 14. November 2007 sowie mit Haron Ndubi, Anwalt des im Zuge des „renditioning“ nach Guantanamo Bay überstellten Kenianers Mohamed Abdulmalik, Nairobi, 11. Dezember 2007.Vgl. zusätzlich den Report „Horn of Terror“, herausgegeben vom „Muslim Human Rights Forum“. Nairobi. Juli 2007.
(8) Das Memorandum liegt dem Autor in Kopie vor.
(9) Interview mit Abdullahi Abdi, Vorsitzender des „National Muslim Leaders Forum, Nairobi, 7. Dezember 2007
(10) Vgl. Endnote 1.